Als die Sonne im Meer verschwand by Abulhawa Susan

Als die Sonne im Meer verschwand by Abulhawa Susan

Autor:Abulhawa, Susan [Abulhawa, Susan]
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: Diana, 2015
veröffentlicht: 2015-05-20T16:00:00+00:00


40

Am Anfang war ich noch zu jung, um den Zauber zu spüren, den Rhet Shel ausstrahlte. Ich machte sie für meinen eigenen Schmerz verantwortlich. Als Baba Simsin schlachtete, mein Lieblingshuhn, schrie er mich an, ich solle mich zusammenreißen, erwachsen werden, ein Mann werden. Er sagte: »Junge, du darfst einem Huhn keinen Namen geben. Das ist Fleisch, Allahs Geschenk, das uns am Leben erhält. Komm, hilf mir, das Huhn zu rupfen.« Das machte ich, und von da an war es meine Aufgabe, die Hühner zu schlachten. Rhet Shel übernahm meine Aufgabe, die Hühner zu füttern. Nicht lange darauf änderte sich die Welt, und ich ging ins Blau ein.

Khaled konzentrierte sich, beschwor Allah und sprach sich selbst murmelnd Mut zu, dann fuhr er mit der Klinge in einer raschen Bewegung durch den schmalen Hühnerhals.

Rhet Shel, die mittlerweile schon drei war, bekam die Aufgabe, die Hühner zu füttern. Mit den ungelenken Bewegungen eines Kleinkinds warf sie ihnen das Futter hin – das hauptsächlich vor ihren eigenen Füßen landete und zum Teil auch in ihren Zöpfen. Es war ein Schauspiel, das ihr Vater jeden Tag genoss. Er stand im Türrahmen, mit Kaffee und Zigarette, und beobachtete, wie Rhet Shel sich freute, wenn die Hühner in Scharen zu ihr strömten und pickten. Dabei versuchte sie, eine gewisse Ordnung durchzusetzen. »Nein, nein, nein, ihr Hühner!«, rief sie ihren gefiederten Freunden zu und wedelte mit ihrem winzigen Zeigefinger. »Lasst auch die Kleinen essen! Bewegt euch. Nein, nein, nein. Böse Hühner!«

Wer Abdel Qader kannte, der wusste, dass Rhet Shel das Lied war, das sein Herz zum Tanzen brachte. Sie war seine größte Liebe. Für Khaled dagegen war Rhet Shel eine Nervensäge, die mit allem davonkam und für alles gelobt wurde, egal, wie gering ihre Leistung auch gewesen war. Sie hatte keine Aufgaben außer der Hühnerfütterung – die sie noch nicht einmal richtig erledigte –, und wenn Khaled ihr zeigen wollte, wie es besser ging, brüllte sein Vater ihn an. Er verbot Khaled auch, Rhet Shel beim Schlachten der Hühner zusehen zu lassen. »Ich will nicht, dass sie traurig wird«, sagte Baba. Khaled begann, einen Groll auf beide zu hegen. Niemand kümmerte sich je darum, wie es ihm ging! Glaubte sein Vater etwa, ihm fiele es leicht, die Hühner zu schlachten und zu rupfen? Rhet Shel war ein Mädchen und noch klein, na und? So unschuldig war sie nun auch wieder nicht. Es würde ihr ganz guttun, sich ein bisschen abzuhärten. Sie musste begreifen, dass Hühner keine Schoßtiere waren. Sie waren Fleisch, eine Gabe von Allah. Er tat ihr also bloß einen Gefallen, als er es so einrichtete, dass sie ihm einmal »versehentlich« beim Schlachten eines Huhns zusah. Es war das Tier mit dem weißen Band um den Hals.

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst dieses Huhn in Ruhe lassen, oder?«, schrie Abdel Qader.

»Ja, Baba. Aber …«

»Gib mir keine Widerworte! Das hast du mit Absicht getan. Ich habe dir genau erklärt, dass du dieses Huhn nicht schlachten sollst, und ihm extra ein weißes Band um den Hals gebunden, damit du es nicht verwechselst.



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